23.4.17

"Es ist eigentlich nichts weiter, als diese ewige Suche nach Freiheit."


INTERVIEWBOGEN AHMAD MESGARHA
„WAS WILLST DU DENN AUF ISLAND“
erschienen bei ZWIEBOOK

Was erwartet die Leser, wenn sie Ihr Buch aufschlagen? 
Den Leser erwartet die Geschichte eines Schauspielers, der im Juli 2013 die Laufschuhe geschnürt hat und nach Island geflogen ist, um dort zu finden, was er verloren glaubte: die Leichtigkeit des Seins. Dies ist mein Bericht über eine faszinierende Landschaft, unberechenbar und fremd, in sich gekehrt und still, dann wieder überraschend und aufbrausend. Mein Buch beschreibt einen Lauf durch den Südosten Islands. Dabei habe ich zusammen mit Freunden in sieben Tagen 187 Kilometer zurückgelegt und 7500 Höhenmeter überwunden, vorbei an Geysiren, Gletschern und Wasserfällen bis hinauf zum Vulkan Eyjafjallajökull, dessen Asche unter meinen Füßen noch warm war. Ich habe versucht ein humorvolles, aufregendes Buch zu schreiben, das zu fesseln vermag und Lust darauf macht ein Wagnis einzugehen fern aller Pauschalreisen.

Was hat Sie dazu bewogen, diese Laufreise zu unternehmen?
Ich wollte neues kennen lernen und möglichst dabei laufen.


Welchen Stellenwert hat das Laufen in Ihrem Leben und warum?
Ach, es ist eigentlich nichts weiter, als diese ewige Suche nach Freiheit, die ganz tief im Mann verwurzelt ist. Ich kann, wenn sie so wollen sofort und aus eigner Kraft nach Meißen rennen und auch wieder zurück. Es würde mich anstrengen, aber ich würde es schaffen. Das beruhigt mich irgendwie.



(er kichert)  Es ist dieses auf dem Pferd, mit dem Lasso in der Hand durch die Prärie reiten, es ist diese Endlosigkeit der langen Wege. Ich liebe alles was lange dauert. Ich liebe auch dicke Bücher und ewige Freundschaften.


Sie haben viele Fotos geschossen. Ist die Fotokunst eine Ihrer Leidenschaften? 
Ich liebe die Fotografie, weil sie das still ist und mich dadurch bewegt.


„Was willst du denn auf Island?“ ist sicher eine Frage, die Ihnen nach Ihrem Entschluss gestellt wurde. Wie hat Ihr Umfeld auf Ihr Vorhaben reagiert?
Genau so. „Warum gerade Island? Da wird man doch gar nicht braun?“
(er lacht) Nein, die fanden das natürlich cool und haben mich beneidet, waren aber trotzdem froh nicht mitlaufen zu müssen.


Warum gerade Island? Was hat Sie an der Gegend besonders gereizt?
Diese Insel aus Feuer und Eis besteht aus Gegensetzen. Das Wetter kann von einer Minute zur nächsten wechseln und die Farben spielen vor deinen Augen Roulette. Island hat scheinbar alles in sich vereint und widerspricht sich dabei ständig. Das grüne Gras ist ganz wie in Irland. Die moosbewachsenen Felsen erinnern mich an Schottland. Es gibt es Wasserfälle wie in Kanada. Die Steppe gleicht der Sahara. Dann wiederum sieht’s aus wie auf dem Mond und rote Felsen hat der Mars. Ich war tagelang im Nichts, weit weg von jeder Gewohnheit auf schneebedeckten Gletschern und unter meinen Füßen war die Asche des Eyjafjallajökull noch warm.


Welches Erlebnis hat Sie auf der Laufreise besonders bewegt und warum?
Am dritten Lauftag begegnete ich dem Wasserfall Gullfoss. Was für ein Paukenschlag der Natur! Atemlos stand ich davor. Mir kamen die Tränen. Von alleine vermag der Mensch sich nicht einzuordnen. Etwas in ihm will vergessen, dass auch er zur Natur gehört. Etwas in ihm ermutigt ihn, sich selbst zu erhöhen. Nur ein Blitz, ein Orkan, ein Hochwasser, ein Unglück vermag ihn wieder daran zu erinnern, dass auch er nur ein Teil von allem ist. Die Naturgewalt ist unsere Apotheke. Der Mensch sollte täglich vor einen Wasserfall knien und beten, dass dieser ihn nicht zerquetscht wie eine Fliege. Erst danach sollte er sein Tagwerk beginnen. Demütig und umsichtig. Er ist nur eine Fliege. Der Wasserfall Gullfoss hat mich das gelehrt.





Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie zu kämpfen?
Der Puma lauert überall. Laufklamotten haben die Angewohnheit nach längerem Gebrauch zu stinken, wie ein Puma. Das hältst du nicht aus. Du musst dir also am Abend dringend Seife und Wasser besorgen, sonst hast du keine Freunde mehr.


Welches Foto im Buch gefällt Ihnen am besten? Welche Geschichte ist damit verbunden?
Die schönsten Fotos sind zweifelsohne in den Bergen über Reykjavik auf dem Weg nach Hveragerdi
entstanden. Wie in einer Filmkulisse aus „Der Herr der Ringe“ zog sich der Nebel über graue schroffe Felsen und das isländische Moos gab weich den Untergrund und dämpfte nüchtern jeden Schritt, als wäre man auf einem Teppich im Gebirge. Dieses grün werde ich nicht vergessen. Dann habe ich wundervolle Fotos in Rangárþing ytra gemacht. Marsrot zog sich der Schotter bis in die Endlosigkeit. Und dann natürlich im Naturreservat Fjallabak. Da kannst du nicht anders. Du bist nur am fotografieren. Oh, dieser Drang alles fest halten zu wollen. Dabei vergisst man nichts. Nicht, was einem wichtig ist.


Sie haben nicht nur Fotos geschossen, sondern Sie haben Ihre Erlebnisse auch aufgeschrieben. Warum und für wen?
Das Entscheidende entsteht nebenbei. Ich habe zunächst nur Tagebuch geführt. Manchmal bis in die Nacht geschrieben. Todmüde meistens, aber auf Island wird es ja nur kurz dunkel und somit wurden auch die Nächte zum Tag. Die entstandenen Texte habe ich dann noch während meiner Reise in einen Blogg gesetzt. Das führte dazu, dass sich Leser meldeten, und dringend eine Fortsetzung forderten. Wohlbemerkt, das war noch auf Island. So habe ich angefangen schon während des täglichen Laufens nach Formulierungen zu suchen, die ich dann in heller Nacht in mein Handy stanzte, um es bei der nächsten Internetgelegenheit in den Blogg zu pusten. Im Spätsommer habe ich auf Bornholm aus dem Blogg ein Buch gemacht. Ich habe täglich 4 bis 5 Stunden geschrieben. Dann war das Buch fertig. Und dann, zu allem Unglück, war es weg. Verloren durch einen elektronischen Fehler. Unwiederbringlich und endgültig verloren. Für mich hatte sich das Thema erledigt. Ich wollte und konnte das Wort Island nicht mehr hören.
Und dann?
Habe ich es noch mal geschrieben. Besser, kürzer, wesentlicher. Alles aus der Erinnerung. Es wurde unterhaltsamer und demütiger.


Demütiger?
Ja, im zweiten Anlauf spielt Island die Hauptrolle. Der Schauspieler trat einen Schritt zurück. (er lacht)


Als Theaterschauspieler bringen Sie meist Texte aus fremder Feder auf die Bühne. Was waren Ihre Erfahrungen, als Sie selbst geschrieben haben?
Interessante Frage. Als Schauspieler bin ich täglich damit beschäftigt Texte aufzuschlüsseln, Geschriebenes lebendig zu machen. Als Schreiber ist der Weg umgekehrt. Ich versuche Erlebtes in Worte zu fassen. Berauschend ist der Vorgang dann, wenn aus einem Gefühl heraus Worte entstehen, die Wiederum ein Gefühl erzeugen könnten.


Prosaisches Schreiben und Theater: Was sind für Sie die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser beiden Ausdrucksformen?
Das eine ist mit dem anderen nicht zu vergleichen, wenn auch der Vorgang des Schreibens der Selbe ist. Ich bin Schauspieler und kein Schriftsteller. Ich schreibe aus der Sicht des Spielers. Ich unterstehe dem Unterhaltungsdrang. Wenn ich eine Lücke spüre und es keinen Text dafür gibt. Dann schreibe ich ihn. Berichte, oder Gedichte, Monologe, Texte. Egal, aber nicht um des Schreibens willen, sondern, damit der Schauspieler einen guten Text hat.


Haben sie für die Bühne geschrieben?
Sporadisch. Zum Beispiel bei „Viel Lärm um nichts“, welches wir vor einigen Jahren mit großem Erfolg im Schauspielhaus spielten, war ich von Benedikts mageren Monolog über die Frauen etwas enttäuscht. Später habe ich mich allerdings dafür verflucht ihn erweitert zu haben. „So eine Wortakrobatik. Das kann sich doch kein Schwein merken“, hat da der Gaukler den Schreiber beschimpft, aber der Scheiber in mir erteilte dem Gaukler in mir keine Amnestie.


Wer hat Sie bei der Arbeit an diesem Buch unterstützt und auf welche Art? Stießen Sie auch auf Skepsis?
Mein guter Geist Caren Pfeil. Caren leitet schon seit einiger Zeit das Kino Metropol in Gera. Sie war lange Zeit Dramaturgin in Dresden und arbeitete nebenher als freie Autorin. Wir haben im letzten Sommer bei türkischem Kaffee viele Vormittage in ihrer Wohnküche verbracht. Caren hat die Begabung entscheidende Fragen zu stellen. Zum Beispiel: „Was willst du damit sagen?“


Es ergab sich eine weitere Zusammenarbeit?
Mit Philipp Makolies, dem Gitarristen von „Woods of Birnam“. Phil ist, außer das wir uns regelmäßig im Hamlet auf der Bühne begegnen, auch ein Lauffreund von mir. Ich habe ihn gebeten so eine Art Soundtrack für die Lesereihe zu schreiben. Darüber hinaus hat er einen Song geschrieben der mich umgehauen hat. Irgendwann saß er bei mir zu Hause, holte die Gitarre raus und sang ihn mir vor. Das hat mich sehr gerührt. Der Song „Immer Weiter“ hat im Rahmen der Lesung am 23. April 2017 im Kleinen Haus Mitte seine Livepremiere. Ab 15. April kann man ihn kostenlos unter dem Link downloaden: www.philippmakolies.bandcamp.com


Was liegt Ihnen an diesem Buch besonders am Herzen?
Der ganze Prozess. Ich bin dankbar so etwas erlebt haben zu dürfen. Vom geschnürten Laufschuh in den Bergen, bis hin zum fertigen Buch im Geschäft. Dabei wird man erwachsen. Und muss doch ganz Kind bleiben.


Wie geht es weiter?
Ich arbeite an einem neuen Abend für den Theaterkahn Dresden. Dort werde ich Lieder von Bodo Wartke singen und schreibe gerade wieder fleißig Texte. Der Abend wird „Ja, Schatz!“ heißen und hat seine Premiere am 23.Juni 2017. Es geht um das große Thema der Liebe und ich freue mich diebisch über jedes humoristische Missverständnis zwischen Mann und Frau das dabei ausgekostet wird. Ich freue mich auf die Songs. Wartke kann Lieder zum todlachen schreiben und dich im nächsten Moment anrühren. Ganz in der Tradition des große Jaques Brel. Olga Nowikowa, die Frontsängerin von „Triozean“ wird mich am Flügel begleiten. Philipp Lux, sonst mein geschätzter Schauspielkollege, führt Regie. Es wird ein Fest.


Und was macht der Läufer bei so viel Theater?
Ich stehe früh auf und laufe. Ich laufe eigentlich immer. Ich laufe zur Zeit an die 100km pro Woche. Die Ziele sind gesteckt. Oberelbemarathon in persönlicher Bestzeit. Und im Mai die Teilnahme an meinem 2.Rennsteiglauf. Das sind 72Kilometer. (er schaut etwas nachdenklich) Aber manchmal liege ich auch ganz gerne einfach nur so da. Und starre in die Wolken. Und denke an nichts. 
Und esse Schokolade.