Im Morgengrauen wache ich auf und denke ich spinne. Halsschmerzen ohne Ende. Ich krame nach "Fischerman'ns Friend" und schlafe weiter. Jetzt bloß nicht krank werden. Wir haben noch zwei Lauftage. Haben schon über 100 km hinter uns. Das wäre doch gelacht.
Ich weiß nicht wie spät es ist als ich das zweite Mal aufwache. In unserem kleinen überfüllten Raum macht sich leises Murmeln breit. Von Hektor dem stillen Franzosen, der über mir schläft hört man noch ein leichtes Hauchen. Selbst das Schlafen tun die Franzosen irgendwie feiner.
Der Rythmus ist das Entscheidene. Der Körper holt sich die Kraft aus dem Gleichklang der steten Wiederholung. Ob man trommelt, oder maschiert, ob man in die Hände schlägt, ob man geht, singt, oder läuft. Fast bin ich geneigt von einem tranceähnlichen Zustand zu sprechen. Ich habe in unserem sagenumwobenen Winter 2013 zwei 30 km Läufe auf dem Laufband gemacht, um dieses Gefühl zu trainieren. Kraft und Ausdauer entstehen durch den gemeinsamen Klang zwischen Herz, Seele und Körper. Die Physis braucht die Psyche und umgekehrt. So, wie man die Dinge vor Gericht klärt, würde ich den körperlichen Prozess beschreiben: Es muß geschehen in beiderseitigem Einvernehmen.
Flußüberquerungen werden zur Routine.
Riesige Scheebrocken bei 25 Grad Celsius.
Wir machen an einem Bach mit grüner Wiese halt und Ósk schlägt vor, dass wir uns vor dem großen Aufstieg nochmal dehnen. Volkmar schaut skeptisch und murrt. "Was man nicht beherrscht, sollte man nicht übertreiben." Ich kichere und fange nochmal die Geschichte von den Dänen an, welche unter schweren Bedingungen, noch vor unserer Zeitrechnung, das Dehnen erfanden...
Wenn man etwas nicht, oder noch nicht kennt ist man geneigt zu sagen: "das ist ja wie..., das sieht ja aus wie.., das erinnert mich an... ." Der Mensch sucht stetig nach Verbindungen. Verbindungen schaffen Befriedigung und sind im eigentlichen Sinne wertlos, denn jedes und alles sollte für sich stehen.
Dennoch hinkt mein Beispiel, denn man könnte doch auch von Wiederholungen sprechen. So wie die Musik Phrasen innerhalb eines Musikstückes variiert und wiederholt, so wiederholt sich auch die Natur. Die Landschaft rund um Reyjkjavik vereinigt viele Länder und deren Erkennungswert miteinander, sie wiederholt Schottland, zitiert Kanada, vielleicht auch Irland, ich bin geneigt zu sagen die Sahara, erwähnt den Mond, den Mars, ahmt nach um letztlich doch einzig zu sein: Island.
Wir kommen in eine Gegend der Schlammlöcher. Ósk bittet uns die Augen zu schließen: eine Symphonie von Blubbern und Blasen. Heiß und gefährlich, wie schlecht gelaunte Katzen, fauchen sie zuweilen, nach einem Zeitmaß, ihnen allein bekannt, unwillkürlich aus ihren Löchern.
Ósk ermahnt uns dicht hinter ihr zu gehen. Die Löcher sind lebengefährlich.
Sind diese Saugnäpfe der Zugang zur Hölle? Ich hab's! Ja, natürlich, dass muß sie sein und ich habe sie gefunden, die Pforte zur Hölle! Mit feurigen Adern werden diese brodelnden Ungeheuer ihr Opfer ins Erdinnere saugen, erbarmungslose Rechenschaft fordernd. Ich habe heute Geschichte geschrieben. Ich, der Halbiraner aus Dresden, der berlinernde Sachse vom "Weißen Hirsch," habe unter unmenschlichen Bedingungen, am 25. Juli Anno 2013, um 14.02 Uhr isländischer Sommerzeit, bei minus 26 Grad Celsius, nur mit einer Badehose bekleidet, erst mit dem rechten, dann mit dem linken Auge, zuletzt dann doch mit beiden die "Straße zur Hölle" entdeckt.
Wir warten am Ziel unseres Laufes vor einem Flussbett frierend eine Stunde auf Hjalmar und beschließen ein Auto anzuhalten, welches uns aufnimmt. Zufällig und folgerichtig erscheint ein Rettungswagen. Die Räder reichen mir bis zur Schulter. Die Männer helfen gern, wir steigen ein und werden mit monströser Überlegenheit über das Flussbett gefahren. Jedes Kind möchte mal mit so einem Riesen fahren. Hjalmarr stirbt tausend Tode, als er uns am Flussufer aussteigen sieht. Was ist passiert? Nichts, wir haben auf dich gewartet und wir waren nass geschwitzt, aber das Frieren war uns diese Fahrt wert.
Am Abend sind wir zu Gast im Landhaus bei Ósk's Eltern. Alles ist liebevoll gedeckt und großherzig bedacht. Der Hausherr, ein ehemaliger Architekt erklärt stolz die Bilder an der Wand und mir wird einmal mehr klar, wie verbunden die Isländer mit ihrer Natur sind. Die Hausherrin schneidet frischen Salat im Garten. Wir essen trinken und lachen.
Abends, als selbst die Isländische Nacht ihr Licht löscht, sitzen wir am Kamin. Es ist gemütlich und man genießt die Gastfreundschaft.
Bis bald! Bis dann! Bis irgendwann! Wir fahren ins Quartier. Danke.