21.7.13

Island Laufreise 3.Tag von Hveragerdi nach Laugarvatn 26km

7:00 Uhr, es klingelt der Wecker. 

Ein Läufer muss sich dehnen. Dehnen, dehnen und nochmals dehnen. Die Muskeln wollen belohnt werden. Ich glaube übrigens das Dehnen haben die Dänen erfunden, sonst hießen sie ja nicht Dänen die Dehnen.


Aber wirklich, Läufer müssen sich dehnen! Unbedingt, sonst haben Sie keine Freude und steife Beine. Feste Muskeln können nicht laufen und ein Läufer, der nicht laufen kann ist traurig. Das ist die ganze Geschichte. 

Wir machen hier jeden Tag über 1000 Höhenmeter im Gebirge. Da werden die Beine schnell fest. Und du hast keine Chance. Also bin ich früher aufgestanden als ich wollte und habe erst gegähnt und mich dann gedehnt. 

Ich schalte den MP3 Player an und höre weiter in in meinem Hörbuch "Säulen der Erde."  Nein, ich kann nicht mehr, bis hier her und keinen Schritt weiter. Ich habe zwei CDs durchgestanden von der Brühe, von der heiß begehrten Massenware. Was ich mir beim laufen verbiete, ich gebe auf. Zu sehr gut und böse, zu sehr schwarz und weiß - zu durchschaubar, mit einfachem Strikckmuster: "Viel Lärm um Nichts." Dabei habe ich mich so darauf gefreut, es mir extra überspielt, denn ich liebe lange Hörbücher. Ich liebe überhaupt alles was lange dauert, denn wenn man mit der Geschichte, die man liest, oder hört, Zeit verbringt, dann verweben sich die Ebenen, dann beginnt man unweigerlich mit der Geschichte der Figuren und Menschen aus dem Roman zu leben, denn du hast die Scheu vor ihnen und sie haben die Scheu vor dir verloren. "Na, Boris, was erleben wir heute im Schnee vor Moskau? Wie geht's Napolion und seiner Erkältung? Mit selbst? Ja, mein Gott, ich hatte gestern Hamlet. War wieder ausverkauft. Du mußt mal kommen! Und bring Natascha mit! Sie liebt doch das Theater."  Ein halbes Jahr, 57 CD's lang, habe ich Tolstois "Krieg und Frieden" gehört, vollständig und ungekürzt, jeden Morgen mehrere Minuten. Ich weiß, ich neige zur Übertreibungen, doch ich sollte sagen, es hat mein Leben verändert. Ken Folett ist nicht Tolstoi, das wird mir schmerzlich klar. Ich höre Rainald Grebe und bin geheilt.

Nach dem wunderbaren Frühstück geht es los. Nur schwer verabschiede ich mich von meinem Hotelzimmer. 


Wir starten vom Hotel auf einem Schotterweg in das Tal Reykjadalur über das Hengil Vulkangebiet. 


Es geht immer nur hoch. Kleine Erdlöcher zeigen sich. Drinnen brodelt der Schlamm siedend heiß und Dampf bildet Rauch, der über die Ebene schwebt. Leichter Nieselregen begleitet uns auf den Weg ins Gebirge.

Nach 10 km Pause. 


Wir baden im warmen Wasser. Das Wasser hat 38-40°.  Es ist wie eine Badewanne im Gebirge. Hjalmar bringt, wie von Geisterhand bestellt, Fisch, Brot, Kaffee und Tee. In einem heißen Erdloch kochen wir Eier. Es riecht nach Schwefel. Die Eier schmecken ein wenig danach, aber das macht nichts. Hier oben schmeckt alles. Wir sind glücklich.


Hjalmar und Ósk sammeln die Schalen der Eier auf und verstauen sie behutsam in einen Müllbeutel. Die Schalen kommen nicht auf die Wiese. Hjalmar sagt: "Wenn das jeder machen würde, dann wäre es hier nicht mehr so wie es ist. Ich gehe, wie ich kam."  

Plötzlich zeigt sich die Sonne. Wir haben gar nicht mehr damit gerechnet. Man ist sehr, sehr bescheiden geworden. Die Gegend ändert sich. Weite Wiesen zeigen sich. Man könnte denken man ist in Irland.

Wir laufen talabwärts in ein ehemaliges Flussbett. Riesige Steinkrater tun sich links und rechts auf. Es erinnert mich an Utah in Amerika. Wir können nur noch gehen. Die Felsen sind zu gewaltig. Die Verletzungsgefahr zu groß. Wir klettern mehr als wir laufen. Ständig wird fotografiert. Man wird blöde. Diese Gier es festzuhalten, mitzunehmen. Je mehr man sieht, je mehr will es verbannen, aufzeichnen, haben. Festhalten geht nicht. Man müsste es sich merken. 

Wir treffen auf den Thingvallavatn See Und laufen stromabwärts in Richtung Laugarvatn. Hjalmar holt uns erschöpfte Krieger nach 26 Kilometern Bergtour und über 1200 Höhenmeter im Tal ab. Schon von weitem sehen wir den roten Jeep und freuen uns. 

Wir fahren mit dem Auto an der Stelle vorbei, wo sich Island in zwei Teile teilt. Es gibt Eiweiß, Getränke, Riegel und was wir wollen. Die Scheiben sind beschlagen im Wagen ist es ruhig. 

Kontinentalplatten spalteten sich voneinander. Ein Riss geht durch ein Land. Die eine Seite gehört zum Kontinent  Amerika, die andere zu Europa. Das erinnert mich an mein Land, das sich DDR nannte und an die BRD. Wir stehen mitten im Riss, in der neutralen Zone, im Nichts. Mücken und plötzlich ausschwärmende Touristen bewegen uns schnell weiterzufahren.

Wir landen im Hotel Edda in Laugarvatn.
Die Unterkunft ist einfach aber ausreichend. Ein Glück, die Heizung heizt. Ich wasche meine Wäsche. Eine Prozedur, die sehr wichtig ist. Wenn die Sachen nicht sauber sind, fängst du an zu stinken wie ein Puma.

17.00 Uhr
Wir treffen uns im Thermalbad. Der Eintrittspreis ist hoch. Hier in Island ist alles teuer. Ich trinke ein kleines Bier und esse ein belegtes Brot für 12 Euro. 

Die Isländer sind routiniert im Umgang mit der Sauna. Auch die Kinder wissen schon gut mit der Wärme umzugehen. An jeder Ecke, aus jedem Loch kommt sie. Selbst die Jugendlichen stellen sich ohne Scham auf die Bank und atmen ein und aus.

20:00 Uhr
Wir sind eingeladen und fahren zu der Tante von Ósk, die ein kleines Häuschen in der Umgebung hat. Ich komme mit Hjalmar, der zusammen mit Ósk zehn Jahre in Berlin wohnte, ins Gespräch. Wir reden über Ostberlin, meine Geburtsstadt, über das Leben an einer Grenze, über die Gewohnheit sich unterzuordnen, über die Bedürfnisse und Hierarchien. Wir finden Parallelen zwischen Island und der DDR.
Wir trinken Gin, Rotwein, Essen Lamm und süße Kartoffeln. Dazu gibt es Salat und später wunderbaren Kaffee auf der Terrasse. Wir rauchen, blicken auf den See und sind uns einig: Das Leben ist schön.

Einmal mehr wird mir bewußt, wie sehr mir das Englisch fehlt. Ich habe es nie richtig gelernt. Die ganze Welt redet englisch und ich spreche russisch. Ich kann mich mit Putin und seinen Geheimagenten unterhalten, aber nicht mit Mick Jagger, Eric Clapton und den anderen coolen Typen. 13 Jahre meines Lebens Russisch Brot, sinnlose Zeitverschwendung. Dabei hat das Land von Tolstoi und Dostojewskie meine Wut nicht verdient, aber fahre nach Eisenhüttenstadt! Dort sind die Reste einer Region zu sehen, wie sich das der Sozialimus so ausdachte. Ein Leben ohne Zufälle, ohne Individualität, fremd gesteuert, überschaubar und kontrolliert. Die Gefühle und die Architektur am Reißbrett entworfen. Ich habe als Kind nicht geahnt, wie sehr mich das später beschäftigen würde. 

Morgen ist Ruhetag. Wir werden nur 15 km laufen und das natürlich wieder im Gebirge. Wir besuchen Geysiere und Wasserfälle. 

Morgen läuft Hjalmar mit uns. Und führt uns an den Ort, wo er geboren ist. 

Jetzt ist es dunkel draußen. 


Nicht mehr lange. Gute Nacht.