Es klopft an der Tür. Ich schrecke hoch. Es ist Volkmar: "Was ist mit Frühstück?"
"Frühstück?", frage ich, als wäre diese Mahlzeit um diese Zeit abwegig. "Vergiss nicht, wir müssen uns alles mitbringen, es gibt nichts, keinen Teller keine Tasse nichts, nur Sitzplätze in der Sonne". Schöne Aussichten denke ich. "Ich werde noch kurz im Bett bleiben." Volkmar, selber noch etwas schlaftrunken, nickt freundlichen und humpelt durch das kleine Tannenwäldchen in Richtung Frühstück. Es wird heute schwer für ihn, denke ich, viele Höhenmeter liegen vor uns und es ist warm. Seine Beine sind seid Tagen fest, die Muskulatur ist überfordert und dann diese Blasen und der blaue Zeh am rechten Fuß. Es wäre vernünftig, er würde sich heute ausruhen. Aber wer will das schon, wer will das Nahliegende, das Vernünftige. Wir sind doch hier nach dem Norden, weit nach oben, in die Wüste aus Feuer und Eis geflogen, um zu laufen, um die Natur auf zwei laufenden Beinen kennen zu lernen und nicht, um als Halbinvalide hinter der Glasscheibe eines Jeeps durch die Landschaft chauffiert zu werden, oder? Damit würden wir doch die Warnungen und das Kopfschütteln, die Sorgen und Bedenken der Zurückgebliebenen nur bestätigen.
Als Läufer bist du stets und ständig Zielscheibe von Kommentaren: "Habt ihr was verloren, dass ihr so lange laufen müsst? Vor wem lauft ihr denn eigentlich davon? Vor euch selber? Vor eurem Alter? Wo wollt ihr denn so schnell hin?" und du hast dich daran gewöhnt, dass es kein Schwein interessiert, was du eigentlich mit dem Laufsport verbindest, welche emotionale Beziehung dich an ihn knüpfen und was du für Ziele hast. Du hast dir abgewöhnt zu erzählen, welche Pace du beispielsweise bei einem Wettkampf anstrebst, welche Trainingspläne du benutzt und welches Gelände du, mit welchem Material, bezwingen wirst. Ja, bezwingen sag ich, bezwingen! Es ist zwanghaft, was da so als Freizeitspass angefangen hat und es ist mehr als ein Ausgleich es ist Sucht. Manchmal kannst du an nichts anderes mehr denken. Es ist völlig bescheuert und du bist ziemlich einsam mit deinen Läufersorgen und Geschichten, die du keinem erzählen kannst, weil sie keinen interessieren. Weil es auch völlig bescheuert ist, sich und seinen Gelenken den Strapazen eines täglichen Geländelaufes dieses Umfangs zu unterwerfen. Und so und deshalb läuft Volkmar mit seinen Blasen am Fuß und mit blauem Zeh nachdenklich durchs Tannenweltchen zum Frühstück und beratschlagt mit sich selbst, was zu tun und was zu lassen ist. Ich schaue ihm nach und denke, ein Läufer wäre sicherlich der beste Zuhörer für einen Läufer.
8:30
Nach dem Frühstück. Wir warten. Ósk kommt nicht. Warum kommt sie nicht? Wir haben heute viel vor und werden etwas nervös.
9:15
Ich versuche die Laune hochzuhalten und mache etwas halbherzig Witze. Mein Humor verlässt mich nie. Auf meinen Humor kann ich mich eigentlich immer verlassen. Außer manchmal und dass ist gerade heute morgen. Schwierige Zeiten. Alle sind etwas müde und gezeichnet von den Tagen die hinter uns liegen.
Wenn man jeden Tag das Selbe tut, ist der Körper zu unglaublichem bereit. Intuitiv weiß er was anliegt ind richtet sich darauf ein. Er weiß schon, dass das wieder kein Zuckerschlecken wird, aber er hat keine andere Wahl und schaltet das Getriebe auf Ausdauer und jammert nicht.
Ich habe durch meinen Beruf auf der Bühne und nicht zuletzt durch den Sport erfahren, dass man mit seinem Körper sprechen kann. Laut, oder leise, Man kann ihn überreden. Man kann beruhigen. Man kann im Mut machen. Und wenn der gar nicht mehr will, dann wird er eben krank und ist sozusagen beleidigt. Dann muss man ihm Zeit geben sich wieder zu sammeln.
9:30
Ósk Kommt völlig aufgelöst angerannt. "Der Wagenschlüssel war weg! Der Wagenschlüssel vom Jeep war weg! Ich habe einen Bus organisiert, der uns raus fährt, als alles organisiert war haben wir den Schlüssel wieder gefunden." "Ja, die Missverständnisse", sage ich "die Missverständnisse kosten Zeit. Manchmal stehen wir früh auf und es ist schon ein Missverständnis.", wir laufen das letzte Stückchen bis zu unseren Koffern zusammen.
11:00
Auch in Island ist Sommer.
Wir fahren mit dem Allrader über Gletscherflüsse bis nach Thorsmörk, Ganz in der Nähe desVulkans Eyafjjallajökull, der 2010 aussprach. Volkmar hat getan, was zu vermuten war und einen Schwimmtag aus diesem letzten Lauftag gemacht.
Zunächst, noch an der großen Hauptallee, sind rechts kleine Inseln zu sehen. "Eine davon, die siehst du jetzt nicht" sagt Hjalmar, "ist entstanden als du geboren wurdest".
Ich erzähle von Goethes Faust. Da gibt es eine Szene im zweiten Teil, in welcher Mephisto erklärt, daß die Hölle schnell zum Himmel wird bei einem Vulkan, da sich das untere nach oben kehrt. Es gibt kein oben und es gibt kein unten im Leben. Über all ist Hölle und Himmel zugleich.
Wir sollten das Leben, leben wie es ist und nicht versuchen ein anderes nachzuempfinden sagt Ósk. "Kennt ihr Schlingensief"? werfe ich ein. "Der ist jetzt Im Himmel. Der Sonne ganz nah, aber ohne Sonnencreme, der cremt sich nicht ein, so wie wir Warmduscher, der brennt wo er auch ist gleichermaßen, auf Erden und im Himmel ." Hjalmar lacht und fragt, "sprechen wir wieder vom Theater?"
Heute ist was mit dem Auto. Hjalmar bleibt oft stecken. Mitten im Wasser. Oh Gott, da braucht man Nerven.
11:15
Ósk erklärt den Weg. Wir laufen in die Unwirklichkeit den "Fußweg zum Mond".
Ein klleines Land hat Europa lahm gelegt. Das war 2010 beim Ausbruch des Vulkans. Kein Flugzeug durfte fliegen. Außnahmezustand wegen Island.
Wir werden hoch zur Lava laufen, die an vielen Stellen noch dampft. Zunächst ist an laufen nicht zu denken. 1000 Höhenmeter legen wir in schnellem Schritt, Stufe für Stufe zurück. Ich erreiche fast Maximalpuls. Es wird kalt.
... Und wir sehen erste Ausläufer des Vulkans von 2010.
Man kann Schnee zu Eis machen, wenn man die Flaschen auf die warmen Lavagesteine legt. Wir haben eigentlich immer Durst. Die Sonne scheint in Island intensiver. Man braucht für 10km mindestens 0,5 Liter.
Ich gebe zu, ich habe die Schneeneurose noch nicht überwunden. Der letzte Winter Deutschland war einfach zu heftig. Deshalb versuche ich die Schneewege oben auf dem Pass schnell hinter mich bringen. Der Schnee lässt sich schwer laufen. Er ist unberechenbar und nass. Die Wasservorräte sind zu Ende. Bald aber erwarten uns kühle romantische Bäche. Wenn es erst mal Berg ab geht.
Die Kunst Berg ab zu laufen ist eine eigene. Ósk beherscht sie und bringt es mir bei. Dabei ist es wichtig nicht zu viel abzubremsen. Man muss sich nach vorne fallen lassen. Bremst man zu sehr ab staucht der Körper und die Verletzungsgefahr steigt.
Die Wasserfälle sind athemberaubend. Die Muskeln werden müde und ich freue mich über jede Pause.
Wanderer begegnet uns und klatschen uns zu wenn wir vom Gefälle getrieben vorbei rauschen. Es wird viel gelacht am Berg. Man ist freundlich zueinander. Man teilt den gleichen Weg. Egal in welche Richtung es geht.
Melancholie ergreift mich. Die sieben Lauftage neigen sich ihrem Ende. Es ist wieder warm geworden. Und der Parkplatz ist in Sicht. Hjalmar ruft "Hey", er liegt im Gras und kaut auf einem Ast. Der Jeep steht bereit. Jetzt liegen noch 2 Sunden Fahrt vor uns. Am Abend werden wir in Reyjkjavik sein.